Artikel vom 17.10.2017
Onlinekauf & Geoscoring 2018: Sag mir, wo du wohnst ...
Tür an Tür mit schlechter Bonität: Ihr Nachbar hat eine negative Schufa, doch was haben Sie damit zu tun? Ganz einfach - wird er nicht beliefert, erhalten auch Sie unter Umständen keine Ware oder nur gegen Vorkasse. Geoscoring im Onlinehandel schätzt Ihre Bonität aufgrund Ihrer Anschriftsdaten ein: Wo Sie leben und wohnen, bestimmt über Ihre Kreditwürdigkeit - ab 2018 mehr denn je.
Falsche Straße, falsche Hausnummer = keine Lieferung
Die ersten Monate war alles gut: Christine Engel, H&M Stammkundin und frisch nach Stammheim umgezogen, hatte bereits an ihre neue Adresse bestellt und Ware erhalten. Bis die Kölnerin - so Express.de - im Onlineshop des Unternehmens im Zuge einer attraktiven Rabattaktion Hosen bestellte, die nie eintrafen. Also rief Engel beim Kundenservice an, wo sie erfuhr, dass H&M ihre Bestellung gelöscht hatte, auch die eingelösten Rabattpunkte waren verloren. Die Begründung: In Engels Wohngegend sei "zuviel vorgefallen" - Auskunfteien wie Creditreform, Bürgel oder Infoscore haben ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Laut Sprecherin Jennifer Kaz sperrt H&M bestimmte Hausnummern, im Einzelfall auch ganze Straßenzüge. Nachbarschaften, in denen betrügerische Kunden bzw. solche mit laufenden Inkassoverfahren leben, dürfen nicht auf Rechnung zahlen oder werden überhaupt nicht beliefert. Eine Verfahrensweise, die keinesfalls typisch H&M und eine Einzelerscheinung, sondern im Onlinehandel gang und gäbe ist.
Geheimnis Geoscore: Mix aus Kaufkraft, Arbeitslosenquote & Co.
Erfreut sich die Nachbarschaft guter Zeugnisse, profitieren Sie - eigener Bonität ungeachtet - ebenfalls. Ihr Nachbar ist Zahnarzt? Dann geht Ihr Onlinehändler davon aus, dass Sie sich diese Wohngegend auch leisten können. Pech dagegen, wenn Sie als Zahnarzt im sozialen Brennpunkt residieren: Warum sollte Ihr Online-Anbieter sicher sein, dass gerade Sie zu den wenigen gehören, die zahlungskräftig sind? Abgesehen davon entwickelt praktiziertes Geoscoring auch eine Eigendynamik als Abwärtsspirale: Diskriminierung wegen der Wohnadresse führt z. B. dazu, dass Betroffene Kredite zu ungünstigen Konditionen erhalten - so nimmt Überschuldung an Fahrt auf. Bei all dem bleibt der Algorithmus zur Berechnung von Geoscores im Dunkeln. Bekannt ist, dass auf Datenbasis eines Clusters - wie einer Region - eine Vergleichsgruppe angelegt wird, mit Schuldner- und Arbeitslosenquote, Bausubstanz der Gebäude, durchschnittlicher Kaufkraft und Einkommen. Wie diese Faktoren bei Errechnung des Geoscores gewichtet werden, bleibt gut gehütetes Geschäftsgeheimnis der Auskunftei.
Creditreform: Schuldneratlas 2017
Jeden Herbst - auch jetzt wieder - stellt die Creditreform ihren Schuldner-Atlas Deutschland vor. Hier können Shopbetreiber sehen, wohin sie unbesorgt mit Rechnung und wohin nur gegen Vorkasse liefern können. Wie im Osten, dessen Zahl verschuldeter Haushalte höher als im Westen liegt. Doch auch dort gibt es Unterschiede: Beträgt die Überschuldung in Bayern nur gut 7 Prozent, liegt diese in Bremen mit 14 Prozent fast doppelt so hoch. Besonders schlechte Karten haben laut Creditreform Duisburg und Dortmund mit 14,65 Prozent. Und wie die Thüringer Allgemeine aktuell berichtet, scheint Versandhändler Amazon Nordhausen im Südharz besonders abzustrafen - wie es deren eigener Redakteur erlebte, der nach seinem Umzug dorthin nicht mehr per Lastschrift zahlen darf.
2018: Geoscoring als Alleinkriterium wieder erlaubt
Eine Diskriminierung ganzer Straßenzüge oder Regionen? Ist das zulässig? Laut Verbraucherzentrale eindeutig nein - noch. Die Bonität allein anhand des Wohnortes zu berechnen, ist nach Bundesdatenschutzgesetz verboten. Dennoch darf dieser Aspekt neben anderen Kriterien in die Bewertung einfließen. 2018 dagegen bringt eine gewisse Aufweichung der aktuellen Gesetzeslage, sobald die EU-Datenschutzgrundverordnung deutsches Datenschutzrecht ablösen wird. Verbraucherschützer kritisieren die recht offenen Formulierungen, die dann an die Stelle der präzisen Regelungen des aktuellen Bundesdatenschutzgesetzes treten sollen. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein potenzieller Kunde (nicht) zahlt? 2018 wird Geoscoring als alleiniges Kriterium zur Feststellung von Kreditwürdigkeit wieder erlaubt sein. Attraktiv für Online-Händler, denn Geoscoring zur Bonitätsermittlung ist deutlich preiswerter als ein Schufa-Auskunft zu haben. Schon jetzt bereiten spezielle Anbieter Schnittstellen vor, die es ermöglichen sollen, Geoscores flächendeckend abzufragen - für jede einzelne Adresse in Deutschland.
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